Bericht 16. Österreichische Umweltrechtstage
zum Generalthema "Abwägung im Umweltrecht - Projektwerber versus Umweltinteressen?"
Am 14. und 15. September 2011 fanden an der JKU Linz in Kooperation zwischen dem Institut für Umweltrecht der JKU Linz und dem Österreichischen Wasser- und Abfallwirtschaftsverband unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner (JKU Linz), o.Univ.-Prof. Dr. Bernhard Raschauer (Universität Wien) und Univ.-Prof. MMag. Dr. Eva Schulev-Steindl, LL.M. (Universität für Bodenkultur Wien) die bereits 16. Österreichischen Umweltrechtstage statt.
Mit dem Generalthema "Abwägung im Umweltrecht - Projektwerber versus Umweltinteressen" trafen die Veranstalter auch diesmal wieder genau das Interesse von Praxis und Theorie. So folgten wieder etwa 200 interessierte TeilnehmerInnen der Einladung an den Campus der JKU.
Eröffnet wurde die Tagung mit Grußworten des neuen ÖWAV-Präsidenten HR DI Johann Wiedner (Amt der Stmk Landesregierung) und von Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner.
In bereits traditioneller Weise bildete auch diesmal ein umfassender Überblick über die Neuerungen des vergangenen Jahres im Bereich des europäischen und nationalen Umweltrechts den Rahmen der Tagung.
Univ.-Prof. Dr. Verena Madner (Wirtschaftsuniversität, Wien) gab im ersten Vortragsblock zunächst einen ausgiebigen Einblick in die aktuellen Recht-setzungsvorhaben der Europäischen Union mit einem Schwerpunkt in Bereichen "Klimaschutz und Energie" sowie "Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung". Im zweiten Teil ihres Vortrags berichtete sie über aktuelle Entscheidungen des EuGH in den verschiedensten Bereichen des Umweltrechts.
Als nächste Referentin führte Univ.-Prof. MMag.Dr. Eva Schulev-Steindl (Universität für Bodenkultur, Wien) die TeilnehmerInnen in bewährter Weise durch den "Dschungel" der jüngsten wichtigen Rechtsprechung in wesentlichen Bereichen des Umweltrechts, wie etwa in der Umweltverträglichkeitsprüfung, im Abfallwirtschaftsrecht, im Wasserrecht, im Naturschutz- und Forstrecht, im Gewerberecht und im Emissionshandelsrecht.
Univ.-Prof. Dr. Nicolas Raschauer (JKU Linz) unternahm mit den TeilnehmerInnen einen spannenden Streifzug durch die nationale umweltrechtliche Gesetzgebung des letzten Jahres, diesmal aufgrund der engen fachlichen Verstrickungen nicht strikt nach Bundes- und Landesrecht getrennt, sondern gegliedert nach den einzelnen Sach- bzw Rechtsbereichen. Bei seinen Ausführungen zur Altlastensanierung, zum Wasserrecht, zu INSPIRE, zu Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen, zu Ökostrom, zu CCS (Carbon Capture and Storage, auf deutsch: CO2-Abscheidung und -Speicherung) sowie zum Abfallwirtschaftsrecht wurde wieder einmal die enge Verstrickung bzw Abhängigkeit des nationalen Umweltrechts mit bzw von den europarechtlichen Vorschriften deutlich.
Das Generalthema bildete heuer die höchst spannende Frage der "Abwägung im Umweltrecht - Projektwerber versus Umweltinteressen". Sie wurde von den ReferentInnen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet und hinterfragt.
Als Einstieg in das Thema stellte Prof. Dr. Astrid Epiney (Universität Freiburg i.Ue. / Schweiz) die "Abwägung und Interessenkonflikte im europäischen Umweltrecht" dar. Sie wies schon eingangs darauf hin, daß es eigentlich gar nicht um EINE Abwägung gehe, sondern eigentlich um eine Vielzahl von Abwägungen. Nach einer tiefgehenden Darstellung der Grundprobleme (etwa Konfliktpotential, Abwägung innerhalb des Umweltrechts, Abwägung mit anderen Interessen, Besonderheiten des Europäischen Umweltrechts) stellte sie in bekannt prägnanter, auch für Nicht-Juristen sehr verständlicher Form die Abwägungsvorgaben im Primär- wie auch im Sekundärrecht dar.
Univ.-Prof. Dr. Katharina Pabel (JKU Linz) widmete sich in der Folge der "Interessenabwägung im österreichischen Recht". Sie machte klar, dass eine Interessenabwägung schon in der Gesetzgebung erfolgt, darüber hinaus aber auch bei generellen Entscheidungen sowie Einzelfallentscheidungen im Bereich der Verwaltung und schließlich auch in der Gerichtsbarkeit. Nach einer Darstellung der Struktur der Abwägungsentscheidung ging sie ausführlich unter anderem auf die Feststellung sowie die Gewichtung der abwägungsrelevanten Interessen ebenso wie auf die Kontrolle des Abwägungsvorganges ein.
Im letzten Vortrag des ersten Tages konkretisierte DI Dr. Robert Fenz (Lebensministerium) die Ausführungen seiner Vorreferentinnen für den Bereich des Wasserrechts, und zwar anhand des Entwurfs für den "Kriterienkatalog Wasserkraft". Auf Grundlage der Vorgaben des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans (NGP) stellte er die drei vorgesehenen Prüffelder, nämlich "Energiewirtschaft", "Gewässerökologie" und "sonstige Wasserwirtschaft" dar und beschrieb jeweils die entsprechenden Indikatoren. Abschließend verwies er darauf, dass die Finalisierung bzw Veröffentlichung des Katalogs bis Ende 2011 vorgesehen ist.
Nach zwei "Ausflügen" in die Innenstadt von Linz bzw auf die Donau in den letzten Jahren fand das Rahmenprogramm heuer wieder am Campus der JKU Linz statt. Zuerst erhielten die TeilnehmerInnen unter fachkundiger Anleitung Einblick in die neuesten Gebäude der JKU Linz, nämlich einerseits den Science Park und andererseits in das neue Juridicum mit der modernsten juristischen Bibliothek Österreichs.
Nach kurzen Grußadressen der Linzer Umweltstadträtin Mag. Schobesberger sowie von Univ.-Prof. Dr. Kerschner, Vizerektor Univ.-Prof. Dr. Kalb und ÖWAV-GF DI Assmann ...
... folgte eine kurze Ansprache von Prof. Dr. Sergey Bogolubov (Institut für Gesetzgebung und Rechtsvergleichung bei der Regierung der Russischen Föderation), der schon am Vorabend der Umweltrechtstage zusammen mit Dr. Julia Shupletsova (ebenso Institut für Gesetzgebung und Rechtsvergleichung bei der Regierung der Russischen Föderation) an der JKU einen eindrucksvollen Einblick in das Russische Umweltrecht gewährt hatte.
Schließlich bildete der Empfang den würdigen Rahmen für die Verleihung des 7. Österreichischen Umwelt- und Technikrechtspreises ...
... sowie für die Präsentation des WRG-Kommentars von Oberleitner und Berger und des Kommentars zum B-UHG (Hrsg: Hinteregger/Kerschner).
Daran anschließend konnten sich die TeilnehmerInnen mit dem traditionellen Buffet von den Strapazen des Tages erholen, ...
..., bevor Linhart&Bauernfeind mit ihrem "Klimasch(m)utzkabarett" "Wurscht und wichtig" zum Lachen, aber auch zum Nachdenken anregten.
Am Vormittag des zweiten Tages wurde das Generalthema für zwei weitere wichtige Rechtsbereiche näher konkretisiert.
Zunächst widmete sich RA Mag. Martin Niederhuber (NH Niederhuber Hager Rechtsanwälte) den "Abwägungsentscheidungen im Naturschutz- und Forstrecht". Nach der Darstellung eines genehmigungsrechtlichen Grundmodells sowie der Klarstellung, was überhaupt ein "öffentliches Interesse" ist, ging er den Fragen nach, wie eine rechtsrichtige Abwägungsentscheidung durchgeführt wird, wie das öffentliche Interesse nachgewiesen werden kann sowie ob projektimmanente Maßnahmen zur Eingriffsminderung zulässig sind. Schließlich stellte er noch Spezifika des UVP-Verfahrens dar.
Als Abschluß dieses Blocks stellte HR DI Michael Maxian eindrucksvoll die "Interessenabwägung in der Raum- und Verkehrsplanung" dar. Aufgrund seiner umfassenden, breiten beruflichen Erfahrung konnte er viel Hintergrundinformation über die formellen und informellen Mechanismen der Raum- und Verkehrsplanung vermitteln und deren Probleme veranschaulichen. Er zeigte, dass in beiden Bereichen die Abwägungsprozesse vielschichtig und nicht immer transparent verlaufen und vor allem sehr stark politisch geprägt sind.
Der vierte und zugleich letzte Vortragsblock war schließlich für den zweiten Teil von "Aktuelles im Umweltrecht" reserviert.
Am Beginn dieses Blocks lenkte Univ.-Prof. Dr. Erika Wagner in gewohnt fundierter, aber auch launischer Weise das Augenmerk auf "Aktuelles Umweltprivat-recht". Sie unternahm mit den ZuhörerInnen einen kurzweiligen Streifzug durch die jüngste oberstge-richtliche Rechtsprechung zum Unterlassungsanspruch (Uferbefestigungen bei Flussgrundstücken, vom Dach des Einfamilienhauses ausgehende Lichtreflexionen), zur Eingriffshaftung gem § 364a ABGB (Hubschrauber-landeplatz eines Sanatoriums in der Nähe eines Skigebiets, Pfeifsignale bei Eisenbahnkreuzung), zur Gefährdungshaftung (§ 364a analog) (Erdwärme-sonden, Kanalrohr eines außerbücherlichen Servituts-berechtigten) und zu Sonstigem (Störung des Wildes durch Paintballspiel).
Nach der wohlverdienten Mittagspause präsentierte zunächst Mag. Charlotte Vogl (Lebensministerium) "Neue Entwicklungen im Wasserrecht". Sie konnte dabei nicht nur auf die WRG-Novelle 2011 zurückblicken und deren wichtigste Neuerungen darstellen, sondern auch einen interessanten Ausblick unter anderem auf die Umsetzung des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans, der Hochwasser-Richtlinie sowie auf das Aktionsprogramm Nitrat 2012 bieten. Insbesondere für die Praktiker sehr spannend waren auch die Ausführungen zur Abgrenzung zwischen Abwasser und flüssigem Abfall.
Schließlich berichtete noch Mag. Evelyn Wolfslehner (Lebensministerium) "aus erster Hand" über "Neue Entwicklungen im Abfallrecht". Besonders breiten Raum widmete sie der AWG-Novelle 2010, die unter anderem statt der dreistufigen eine nunmehr fünfstufige Abfallhierarchie brachte. In bereits traditioneller Weise war aber auch das Abfallende wieder ein wesentliches Detailthema. Die Referentin rundete ihre Ausführungen mit einem Überblick über derzeit geplante Vorhaben (etwa eine Novelle der Deponieverordnung 2008) ab.
Univ.-Prof. Dr. Kerschner stellte in seinem Schlusswort zusammenfassend fest, dass der Trend zu größeren Spielräumen in der Gesetzgebung und Vollziehung immer stärker wird, schon aufgrund des Europarechts. Dadurch entstehen auch unterschiedliche Rahmenbedingungen in den Mitglied-staaten. Er verwies dabei auch auf die große Gefahr, dass im Rahmen von Entscheidungen der Verwaltung sehr leicht öffentliche und private Interessen einfließen könnten, die nirgends normiert sind. Damit entstünden breite Spielräume für politische Entscheidungen. Politische Entscheidungen beispielsweise in der Raum- oder Verkehrsplanung seien aber nur dann zulässig, wenn dies der Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet habe. Offene Verweise seien hier aber im Hinblick auf die Gewaltenteilung und Rechtskultur sehr bedenklich.
Univ.-Prof. Dr. Schulev-Steindl resümierte schließlich, dass es nach Auffassung des VwGH "Wertent-scheidungen ohne Bewertung" gebe, dass man also Umweltgüter nicht bewerten könne, und dass sich der VwGH in die Sachentscheidungen auch nicht einmische, soferne sie gut begründet seien. In diesem Zusammenhang stellte sie den Ansatz der "kontingenten Bewertungsmethoden" dar, der darauf abstelle, wieviel dem einzelnen Bürger bestimmte (Umwelt-)Güter wert sind. Sie machte weiters deutlich, dass auch der Vorsorgegrundsatz nicht wirklich ernst genommen werde, sonst dürften viele Risiken gar nicht eingegangen werden. Vielmehr würden hier die Kosten der Risikoabwehr kalkuliert. Abschließend erinnerte sie an die Aussage von Kelsen, wonach Wertentscheidungen keine juristischen Entscheidungen sind.
Das interessierte Publikum hat wie immer durch zahlreiche Diskussionsbeiträge maßgeblich zum großen Praxisbezug und letztlich zum Gelingen der Tagung beigetragen.
Als Termin für die nächsten Österreichischen Umweltrechtstage 2012 wurden der 19. und 20. September 2012 in Aussicht genommen.
Alle Fotos sowie Post-Production:
(c) Rainer Weiß September 2011